PARTNER-ATLAS
UKRAINE
Hinweis: Dieser Artikel spiegelt den Stand von 2020 wider. Eine Aktualisierung ist aufgrund der volatilen Lage in der Ukraine seit dem Angriffskrieg, den Russland am 24. Februar 2022 gegen das Land begonnen hat, nur schwer möglich. Die Rolle der Ukraine als Partner für eine regelbasierte Ordnung hat sich durch den Krieg jedoch in sehr deutlicher Weise bestätigt, weswegen der Artikel an dieser Stelle beibehalten wurde.
Besuchen Sie unsere Themenseite zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, um sich über die Lage zu informieren. Wenn Sie mehr zur Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ost- und Südosteuropa wissen wollen, empfehlen wir Ihnen die Webseite der Abteilung Europa und Nordamerika sowie unsere Social Media Accounts auf Facebook, Twitter, YouTube und Instagram.
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat die Ukraine für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Stärkung einer werte- und regelbasierten Weltordnung" zu verwirklichen?
Seit Beginn des Ostukraine-Konflikts und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim stehen Teile des Landes nicht unter der Kontrolle Kiews. In der Ukraine entscheidet sich, welchen Stellenwert international anerkannte Grenzen im Europa des 21. Jahrhunderts haben, ob Territorien einseitig verändert werden können und das Recht des (militärisch) Stärkeren wieder Vorrang vor Souveränität, Selbstbestimmung, territorialer Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen haben.
Diese Prinzipien wurden von allen OSZE-Staaten anerkannt. Jedes Land ist frei in seiner außenpolitischen Ausrichtung und bei der eigenen Bündniswahl. Von der Aufrechterhaltung dieser Prinzipien und damit der heutigen europäischen Friedensordnung hängt nicht nur Deutschlands Sicherheit, sondern auch unser Wohlstand in einem vereinten Europa ab. Als Folge des Zweiten Weltkriegs musste Deutschland lange um seine Einheit und Selbstbestimmung ringen. Die politische, militärische und gesellschaftliche Verankerung der Bundesrepublik in der westlichen Welt bildete die Grundlage für die Einheit in Freiheit.
Die ukrainische Selbstbestimmung hingegen ist unverschuldet von außen in Frage gestellt, umso schwerer wiegt die internationale Verpflichtung, die Ukraine bei ihrer Forderung nach Selbstbestimmung und territorialer Integrität zu unterstützen. Die tragischen Konflikterfahrungen der Ukraine sind auch eng mit der Bewahrung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen verbunden. Nach dem Ende der Sowjetunion willigte Kiew im Budapester Memorandum von 1994 ein, die auf ukrainischem Territorium verbliebenen Nuklearwaffen abzugeben. Im Gegenzug wurden die Achtung der Unabhängigkeit, der Souveränität sowie die bestehenden Grenzen durch die Unterzeichner, darunter auch die Russische Föderation, bestätigt.
Die Annexion der Krim wirft daher einen Schatten auf zukünftige Abrüstungsinitiativen, da der Wert von derartigen Garantien deutlich geschmälert wird und die Bereitschaft zur Abrüstung sinkt. Für Deutschland wiederum ist dieses internationale Kontrollregime zur atomaren Nichtverbreitung von zentraler Bedeutung für eine weltweite Abrüstung.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft der Ukraine, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Die Ukraine hat sich in einer Vielzahl offizieller Stellungnahmen zu demokratischen Werten und einer regelbasierten Weltordnung bekannt und ist aktives Mitglied in vielen europäischen und internationalen Organisationen. Seit der Unabhängigkeit haben mehr als 34.000 ukrainische Blauhelme an UN-Operationen teilgenommen. Im Südsudan und Kosovo dienen deutsche und ukrainische Blauhelmsoldaten gemeinsam. Insgesamt besteht eine sehr große Bereitschaft zur internationalen Zusammenarbeit insbesondere mit Deutschland.
Auch im Konflikt mit Russland greift die Ukraine auf internationale Rechtsmittel zurück: Kiew prozessiert vor dem Internationalen Seegerichtshof, dem Internationalen Gerichtshof, dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und dem WTO-Gerichtshof, während man bei Beobachtungs- und Humanitärmissionen auf internationale Organisationen wie die OSZE oder das UNHCR setzt.
Im Gesundheitsbereich arbeitet die Ukraine eng mit der WHO zusammen, beispielsweise beim Umgang mit der humanitären Krise in der Ostukraine, den Reformen im ukrainischen Gesundheitswesen oder der Bekämpfung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Masern oder jüngst Covid-19. Nicht erst durch die Corona-Pandemie, sondern auch durch den Konflikt im Osten des Landes verfügt die Ukraine zudem über umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit von außen beeinflusster Desinformation und demokratiegefährdenden Fake News.
Zudem strebt die Ukraine in integrierte Strukturen wie die NATO und die EU, in denen sie sich unmittelbar bindendem internationalen Recht unterwerfen will. All dies macht die Ukraine zu einem glaubwürdigen Partner Deutschlands für eine regelbasierte Weltordnung.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Ukraine aktuell in diesem Bereich?
Deutschland wird als einer der wichtigsten und verlässlichsten Partner der Ukraine gesehen. Es ist an vielen Stellen zentral an der internationalen Diplomatie rund um den Ostukraine-Konflikt beteiligt. Dies gilt insbesondere für das Normandie-Format, aber beispielsweise auch für die Vereinten Nationen und die OSZE. Deutschland war und ist eine treibende Kraft bei der Einsetzung und Aufrechterhaltung zielgerichteter Sanktionen gegen Russland als Folge des Völkerrechtsbruchs. Außerdem unterstützt Berlin die Ukraine intensiv bei ihren Reformbemühungen bilateral sowie auf europäischer Ebene. Im Rahmen der EU arbeitet Deutschland auf eine einvernehmliche Regelung der ukrainisch-russischen Energiebeziehungen hin.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und der Ukraine in diesem Bereich zu intensivieren?
In der Ukraine wird durch die Verletzung ihrer Souveränität und Unterwanderung ihres Selbstbestimmungsrechts mitten in Europa internationales Recht angegriffen. Daher ist das Land ein zentraler Partner, um dem Recht in internationalen Beziehungen wieder einen angemessenen Stellenwert zuzuweisen. Zentral sind hier auch die in der Geschichte der Ukraine beispiellosen Reformen, die das Land seit 2014 angestoßen hat. Deutschland sollte diese Bemühungen hin zu mehr Good Governance nachdrücklich unterstützen, denn ein rechtsstaatlich und demokratisch agierendes Land wird diese Werte auch in sein internationales Verhalten übertragen.
Darüber hinaus kommt der Ukraine eine wichtige Rolle in der Region zu: Wenn der Reformweg als post-sowjetischem Flächenstaat mit mehr als 40 Millionen. Einwohnern erfolgreich ist, hätte dies eine große Ausstrahlungskraft und Symbolwirkung. Der Ukraine kommt dabei geographisch die Rolle einer vordersten Linie bei der Verteidigung europäischer Werte zu.
Rund um die Ukraine gibt es zudem eine Reihe konkreter Probleme, die im Sinne der Durchsetzung internationaler Rechtsprinzipien angegangen werden müssen. Dazu zählt insbesondere das Asowsche Meer, in dem Russland derzeit Seerecht außer Kraft zu setzen versucht. Darüber hinaus ist auf der Krim und im Schwarzen Meer eine massive Aufrüstung festzustellen, welche langfristige Gefahren birgt. Hier empfiehlt sich ein gemeinsamer Ansatz mit NATO-Partnern und anderen Anrainern.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Deutschland sollte bei der Verteidigung der werte- und regelbasierten Weltordnung einen umfassenden Ansatz verfolgen. Regelbrüche müssen weiterhin klar sanktioniert werden, da die langfristigen Folgen einer Akzeptanz von völkerrechtswidrigem Verhalten schwerer wiegen würden als die kurz- und mittelfristigen negativen Folgen durch Wirtschaftssanktionen und Einreiseverbote. Erleichterungen im europäischen Sanktionsregime müssen klar von konkreten Schritten im Rahmen der Minsker Vereinbarungen abhängig gemacht werden. Hierzu sollte die deutsche Diplomatie auch weiterhin in anderen Partnerstaaten Überzeugungsarbeit leisten, dass in der Ukraine die Werte der europäischen Einigung und Friedensordnung verteidigt werden. Der Ukraine sollten langfristig eine klar konditionierte EU-Beitrittsperspektive und auf diesem Weg konkrete Zwischenschritte einer immer engeren Annäherung angeboten werden, die zudem für breite Bevölkerungskreise sichtbar sind.
Ebenso sollte im Rahmen der Debatte um Nord Stream 2 eine belastbare internationale Rechtslösung gefunden werden, die der Ukraine langfristig energiepolitische und finanziell-ökonomische Planungssicherheit bringt, so dass auch in Zukunft Gas durch die Ukraine nach Europa geliefert werden kann. Deutschland sollte hier mit der Europäischen Union, Russland und der Ukraine an einer multilateralen Lösung arbeiten.
Damit historische Aussöhnung glaubhaft ist, bedarf es zudem einer deutschen Werte- und Erinnerungskultur, die alle Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion angemessen umfasst und das Leid und die Millionen Opfer des Zweiten Weltkriegs in der heutigen Ukraine würdigt und stärker ins öffentliche Bewusstsein bringt.
Die innerukrainischen Reformbestrebungen sollten weiter unterstützt werden. Die fortgeführte deutsche und europäische Unterstützung muss dabei von überprüfbaren Fortschritten abhängig gemacht werden, um eventuelle Rückschritte zu verhindern.
Tim B. Peters leitet das KAS-Auslansdbüro Ukraine (Kiew).
Toni Michel ist Trainee im KAS-Auslandsbüro Ukraine (Kiew).
02 — Auslandsbüro
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