PARTNER-ATLAS

SERBIEN

Als Partner für die Regulierung globaler Migrationsströme

01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas

RELEVANZ: Welche Relevanz hat Serbien für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Regulierung globaler Migrationsströme" zu verwirklichen?

In Bezug auf die Regulierung globaler Migrationsströme hat Serbien für Deutschland eine zentrale Bedeutung. Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise von 2014 bewegt sich ein großer Teil der Flüchtlinge aus Nahost, Zentral- und Südasien über die sogenannte Balkanroute. Deren Hauptstrang führt von der Türkei und Griechenland aus über Bulgarien, Nord Mazedonien und Serbien an die EU-Außengrenze mit Ungarn und Kroatien. Dort erschwert sich der weitere Weg, da vor allem die Regierung in Budapest sehr rigide Grenzkontrollen vornimmt, um eine Einreise ohne gültige Reisedokumente zu verhindern. In den ersten beiden Jahren der Migrationsbewegung erhielt Serbien international ausdrücklich Lob für die humanitäre Hilfsleistung für die Flüchtenden. 

Trotz des Rückgangs im Vergleich zum Scheiteljahr 2015 bleibt Serbien wegen seiner Lage und einfachen Passierbarkeit eines der wichtigsten Transitländer auf der Balkanroute. 2020 wurden von serbischer Seite ca. 1600 illegale Grenzübertritte und 144 Asylanträge laut Frontex-Daten registriert (2019: 17.642 illegale Grenzübertritte, 173 Asylanträge). Die Ausweichrouten über Albanien (2020: 1.429 illegale Grenzübertritte, 2.100 Asylanträge – laut Frontex und UNHCR) und Bosnien-Herzegowina (2020: 12 illegale Grenzübertritte, 244 Asylanträge – laut Frontex und UNHCR) sind hauptsächlich durch geografische Hindernisse und eine schlechte Infrastruktur wesentlich mühsamer zu bewältigen, als dies auf der klassischen Route von Vranje oder Pirot bis in das Grenzlager nach Šid der Fall ist. Auch ist in Serbien eine etablierte Hilfsstruktur vorhanden, die in den beiden Ländern weitenteils fehlt. Für den Zeitraum Januar bis Juni 2021 wurden nach Frontex-Daten 18.604 illegale Grenzübertrittsversuche registriert, vor allem Migranten aus Syrien, Afghanistan, Marokko und Libyen.

Der Krieg in der Ukraine hat die Migrationsströme in Europa wesentlich verändert. Laut UNHCR hatten bis zum 8. Mai 2022 5.890 875 ukrainische Flüchtlinge das Land verlassen. Polen war das Ziel des bei weitem größten Zustroms an ukrainischen Flüchtlingen, 3. 217 206, obwohl einige von ihnen in andere EU Länder weitergereist sind. Für ukrainische Flüchtlinge ist Serbien weder ein attraktives noch bevorzugtes Zielland, denn die Ukraine grenzt ja an mehrere EU Staaten, von denen Polen ungefähr die Hälfte und Rumänien ungefähr ein Fünftel des gesamten ukrainischen Flüchtlingsstroms aufgenommen haben. Im Vergleich dazu hatte das serbische Kommissariat für Flüchtlinge und Migration bis zum 21. März 13.000 Grenzübertritte von ukrainischen Staatsbürgern festgestellt, von denen sich 3000 für einen Aufenthalt in Serbien registrieren ließen. Laut serbischem Roten Kreuz hatten bis Anfang Mai 30.000 Ukrainer das serbische Staatsgebiet durchquert, von denen sich 5500-6000 entschieden, in Serbien zu bleiben. Die große Mehrheit von ihnen ist in Privatunterkünften untergebracht, oft bei Verwandten.. Dies zeigt, dass Serbien weder ein bevorzugtes Zielland noch ein bevorzugtes Durchgangsland für ukrainische Flüchtlinge ist und dass das Land von den Flüchtlingsströmen aus der Ukraine nicht drastisch betroffen sein wird. Dennoch könnte eine Krise im Mittleren Osten oder in Afrika weitere Flüchtlingszuströme über die Balkanroute auslösen.

BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Serbiens, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?

Serbien ist daran interessiert, mit den Staaten der EU an einer weiteren Verbesserung der Kontrollierbarkeit und Verteilung der Flüchtlinge zu arbeiten. Die Bevölkerung hegt großes Verständnis besonders für Menschen, die aus der Bürgerkriegssituation in Syrien und dem Irak kommen. Dies liegt auch an der kollektiven Erinnerung der Vertreibung und Flucht von 120.000 Serben aus Kroatien während des Bürgerkriegs in Jugoslawien. Aufgrund der sozioökonomischen Situation Serbiens ist es nicht im Interesse des Landes, dass Migranten dauerhaft im Land verbleiben. Da die Bundesregierung vertrauensvoll mit Belgrad zusammengearbeitet hat (vor allem während der Jahre 2014 und 2015), ist man in Serbien für eine weitere Kooperation in dieser Frage offen.

STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Serbien aktuell in diesem Bereich?

Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Serbien ist in der Flüchtlingsfrage sehr eng, die Innenministerien beider Länder stehen in einem regelmäßigen Informationsaustausch. Einheiten des Bundesgrenzschutzes unterstützen die serbischen Grenzkräfte bei der Ein- und Ausreisekontrolle. Ebenso wurde umfangreiche humanitäre Hilfe aus Deutschland geleistet. Die erteilte Visafreiheit für Einreisende aus dem Iran wurde von serbischer Seite wieder aufgehoben.

POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Serbien in diesem Bereich zu intensivieren?

Potenzial für eine Intensivierung der Partnerschaft zwischen Deutschland und Serbien besteht insbesondere im Bereich der Grenzsicherung wie etwa die Verbesserung der Arbeitsweise und technischen Ausstattung der serbischen Polizei und des Zolls. Dadurch könnte eine bessere Steuerbarkeit der Migrationsbewegungen erreicht werden und eine Qualitätssteigerung bei der Bekämpfung des organisierten, transnationalen Verbrechens. Der Grund hierfür ist die geografische Lage Serbiens, da nicht nur die Migrationsroute über Belgrad verläuft, sondern auch die Haupttransferwege des Heroinhandels aus Zentralasien über Serbien führen.

Serbien erhofft sich eine weitere Unterstützung bei der Verteilung der vor Ort untergebrachten Migranten, da die maroden Sozialsysteme des Landes nicht in der Lage sein werden, dauerhaft für eine Versorgung dieser Menschen zu sorgen. Der Wille der in den Behelfsunterkünften untergebrachten Flüchtlinge, Serbien so schnell wie möglich zu verlassen, da das Land für sie keine stabile Perspektive bieten kann, verschärft die Situation.

POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?

Im Rahmen der deutschen Außenpolitik ist es notwendig, sich der Frage der Migrationsströme in Serbien mit stärkerem Engagement zu widmen. Obwohl das Migrationsthema nicht mehr wie im Jahr 2015 medial präsent ist, ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte im Westlichen Balkan laut Frontex-Daten gegenüber 2020 um 47 % gestiegen. Für das Jahr 2021 meldet Frontex, dass von 200.000 illegalen Grenzübertritten 60.000 auf der Balkanroute stattfanden. Dies ist, verglichen mit 2020, ein Anstieg von 125%, mehr als der 85%ige Zuwachs auf der zentralen Mittelmeerroute. Diese Zahlen stammen aus der Zeit vor dem Ukrainekrieg, der keine wesentlichen Auswirkungen auf die Balkanroute und Serbien haben wird, vor allem im Vergleich zur östlichen Landgrenze. Belgrad blickt in dieser Problematik insbesondere in Richtung EU, da diese als der eigentliche pull factor dieser Migrationsbewegung wahrgenommen wird. 

Die Angleichung der serbischen Asyl- und Einwanderungspolitik an EU-Standards setzt neben einem normativen Rahmen auch die Entwicklung von Kapazitäten für eine dauerhafte Integration jener Migranten voraus, die erklärt haben, dass sie bleiben wollen. Eine erfolgreiche Migrantenintegration in den Ländern des Westbalkans steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Möglichkeit der Beteiligung des Westlichen Balkans an der Gestaltung einer gemeinsamen Strategie mit den EU-Ländern sowie mit einer glaubwürdigen Perspektive der Mitgliedschaft in der Familie der europäischen Völker.

Weiterhin sind technische, personelle und finanzielle Unterstützung im serbischen und deutschen Interesse. Besonders sensibel wird die Fachkräftemigration von serbischer Seite betrachtet, Regierungsverlautbarungen weisen auf die Abwerbepolitik Deutschlands hin. Hier kann ein intensiver Qualifizierungsdialog unter Einschluss der jeweiligen Wirtschaftskammern zur Entspannung und zur Entwicklung einer staatlichen Win-win-Situation führen.

Norbert Beckmann-Dierkes leitet das KAS-Auslandsbüro Serbien / Montenegro.

Aktualisiert am: 05.05.2022

SERBIEN

  • Population: 6.982.000
  • Capital: Belgrad
  • Interesse: Die Regulierung globaler Migrationsströme
  • Region: Europa und Nordamerika

02 — Auslandsbüro

Kontakt:

Konrad-Adenauer-Stiftung
Auslandsbüro Serbien, Montenegro
Makedonska 2
11000 Belgrad, Serbien und Montenegro

04 — Die Region

Europa und Nordamerika

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SCHWEIZ

Die Schweiz ist in vielerlei Hinsicht ein zentraler Werte- und Interessenpartner Deutschlands. Innen- wie Außenpolitik der Schweiz stützen sich auf denselben Wertekanon von Menschenrechten, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.

  • Population: 8.654.622
  • Capital: Bern
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SCHWEIZ

Die Schweiz ist in vielerlei Hinsicht ein zentraler Werte- und Interessenspartner Deutschlands, dies gilt besonders für den Bereich Handel und Innovation. Die Wirtschaften beider Länder sind eng miteinander verquickt: Für die Schweiz war Deutschland mit mehr als 22 Prozent des Außenhandels der wichtigste Handelspartner. Doch auch umgekehrt ist die Schweiz ein zentraler Wirtschaftspartner für Deutschland: So war sie 2020 auf Platz 8 der deutschen Außenhandelspartner (und damit nach den USA, China, dem Vereinigten Königreich das viertgrößte Nicht-EU-Land).

  • Population: 8.654.622
  • Capital: Bern
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SERBIEN

In Bezug auf die Regulierung globaler Migrationsströme hat Serbien für Deutschland eine zentrale Bedeutung. Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise von 2014 bewegt sich ein großer Teil der Flüchtlinge aus Nahost, Zentral- und Südasien über die sogenannte Balkanroute. Deren Hauptstrang führt von der Türkei und Griechenland aus über Bulgarien, Nord Mazedonien und Serbien an die EU-Außengrenze mit Ungarn und Kroatien. Dort erschwert sich der weitere Weg, da vor allem die Regierung in Budapest sehr rigide Grenzkontrollen vornimmt, um eine Einreise ohne gültige Reisedokumente zu verhindern. In den ersten beiden Jahren der Migrationsbewegung erhielt Serbien international ausdrücklich Lob für die humanitäre Hilfsleistung für die Flüchtenden.

  • Population: 6.982.000
  • Capital: Belgrad
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UKRAINE

Seit Beginn des Ostukraine-Konflikts und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim stehen Teile des Landes nicht unter der Kontrolle Kiews. In der Ukraine entscheidet sich, welchen Stellenwert international anerkannte Grenzen im Europa des 21. Jahrhunderts haben, ob Territorien einseitig verändert werden können und das Recht des (militärisch) Stärkeren wieder Vorrang vor Souveränität, Selbstbestimmung, territorialer Integrität und Unverletzlichkeit der Grenzen haben.

  • Population: 43.733.762
  • Capital: Kiew
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BELARUS

Als fünftes Land der Region Europa und Nordamerika wurde zur Entstehungszeit des Partner-Atlas (2019) Belarus gewählt. Die anhaltenden Repressionen im Nachgang der gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 lassen es jedoch nicht mehr zu, an eine vertiefte Sicherheitspartnerschaft mit dem Regime unter Aliaksandr Lukaschenka zu denken.

  • Population: 9.449.254
  • Capital: Minsk
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RUSSLAND

Zur Entstehungszeit des Partner-Atlas (2019) wurde in der Region Europa und Nordamerika auch Russland als Partner im Bereich Ressourcen und Klimaschutz gewählt. Der Angriffskrieg, den Russland seit dem 24. Februar 2022 gegen die Ukraine führt, lässt es jedoch nicht mehr zu, an eine vertiefte Zusammenarbeit mit dem Putin-Regime zu denken.

Wenn Sie sich über die Arbeit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ost- und Südosteuropa informieren wollen, besuchen Sie die Webseite der Abteilung Europa und Nordamerika sowie unsere Social Media Accounts auf Facebook, Twitter, YouTube und Instagram, um die aktuellsten Informationen und Analysen zu erhalten.

 

  • Population: 145.934.462
  • Capital: Moskau
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