PARTNER-ATLAS
SCHWEIZ
Als Partner für die Stärkung einer werte- und regelbasierten Weltordnung
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat die Schweiz für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Stärkung einer werte- und regelbasierten Weltordnung" zu verwirklichen?
Die Schweiz ist in vielerlei Hinsicht ein zentraler Werte- und Interessenpartner Deutschlands. Innen- wie Außenpolitik der Schweiz stützen sich auf denselben Wertekanon von Menschenrechten, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Dies ist – unbeschadet von der – auch auf globaler Ebene sichtbar: Seit 2002 ist sie Mitglied der Vereinten Nationen, erstmals bewirbt sie sich für die Jahre 2023 und 2024 für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Generell sieht sich die Schweiz als Unterstützer eines regel- und wertebasierten Multilateralismus. In den VN-Gremien gehört das Land zu den engsten Verbündeten Deutschlands außerhalb der EU. Das zeigte sich auch während der Corona-Pandemie, in der die Schweiz zu jenen Ländern gehörte, die wie Deutschland für eine starke Rolle multilateraler Organisationen (WHO) und Instrumente (ACT-Accelerator und COVAX-Initiative) bei deren Bekämpfung warben. Durch den multilateralen Standort Genf liegt die Unterstützung der Arbeit der dort beheimateten Organisationen auch im Eigeninteresse der Schweiz.
Die Schweiz sieht sich als Verteidigerin der UN-Charta und des humanitären Völkerrechts. Zudem ist die Schweiz für ihr starkes humanitäres Engagement bekannt: durch ihre tragende Rolle beim Internationalen Roten Kreuz, aber auch als politische und finanzielle Unterstützerin von anderen wichtigen humanitären Organisationen wie dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) oder dem UN-Flüchtlingshilfswerk .
Ein natürlicher Partner ist die Schweiz auch aufgrund der sehr ähnlichen ordnungspolitischen Ausrichtung (Marktwirtschaft, Freihandel, Subsidiaritätsprinzip, Bedeutung des Schutzes von Urheberrechten) sowie der kompatiblen Vorstellungen zur Rolle und Reform der Welthandelsorganisation (WTO). Die Schweiz gehört in der WTO auch zu den Staaten, die sich für eine starke WTO, die Stärkung des Freihandels und den Abbau von Handelshemmnissen einsetzen.
Durch Reformen des Finanzsektors sowie den Beschluss des Schweizer Bundesrats, die von der OECD und den G20-Staaten vereinbarte Mindeststeuer mit einer Verfassungsänderung umzusetzen, sind die Divergenzen in internationalen finanz- und fiskalpolitischen Fragen mit Deutschland geringer geworden.
Die Schweiz ist bekannt für ihre sogenannten „guten Dienste“: Sie bietet Konfliktparteien Dialog- und Mediationsplattformen an. Durch ihr internationales Image als Vermittlerin ist sie ein wichtiger Partner im Bereich der Konfliktprävention und Konfliktlösung. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Schweiz international als Schutzmacht anerkannt. In dieser Rolle übernimmt die Schweiz einen Teil der diplomatischen Aufgaben, wenn zwei Staaten ihre Beziehungen ganz oder teilweise abbrechen. So vertritt die Schweiz seit 1979 die iranischen Interessen in Ägypten und in Kanada, die Interessen der USA im Iran. Eine ähnliche Rolle nimmt sie zwischen Russland und Georgien sowie zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ein.
Aufgrund verschiedener Faktoren (Neutralität, aber auch wirtschaftliche Verflechtungen) unterhält die Schweiz mitunter engere politische und wirtschaftliche Beziehungen mit einigen autokratischen Ländern und schloss sich in der Vergangenheit von europäischen Ländern verhängten Sanktionen nicht an.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft der Schweiz, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf globaler Ebene und in multilateralen Organisationen ist grundsätzlich sehr stark ausgeprägt, eine Vertiefung der Kooperation wird als erstrebenswert angesehen. Mitunter wird von Schweizer Vertreterinnen und Vertretern der Wunsch nach einer schnelleren und frühzeitigen Koordinierung mit Deutschland und der EU geäußert – als Nicht-EU-Land ist die Schweiz nicht in die EU-internen Abstimmungsprozesse eingebunden. Aufgrund ihrer spezifischen Position im internationalen System (Neutralität, Schutzmachtstatus) wählt die Schweiz zur Erreichung der gemeinsamen Ziele mitunter andere Instrumente als Deutschland: Dazu gehören ihre „guten Dienste“, ihre Mediations- und Schutzmachtrolle sowie eine deutlich stärker ausgeprägte Zurückhaltung gegenüber der . Auf der anderen Seite ist die Beteiligung an militärischen Missionen begrenzt, Schwerpunkte sind hier unter anderem Kapazitätsaufbau und humanitäre Minenräumung. Die Schweiz kann sich allerdings durchaus an GSVP-Missionen (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) beteiligen und tat dies beispielsweise im Rahmen der zivilen Missionen EUCAP Sahel Mali und EUAM Ukraine.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Schweiz aktuell in diesem Bereich?
Die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Deutschland ist an internationalen Standorten wie Genf und New York sehr eng. Die Schweiz gilt im Menschenrechtsrat, in der WHO, aber auch bei humanitären und digitalen Fragen (etwa in den Standardisierungsforen) als verlässlicher Partner Deutschlands und der EU. In der Welthandelsorganisation gibt es starke Überschneidungen bei den Positionen. So unterstützt die Schweiz wesentliche deutsche Reformvorstellungen zur WTO, spricht sich für eine Wiederherstellung der Streitbeilegung aus, nimmt an zahlreichen plurilateralen Initiativen aktiv teil, in denen auch Deutschland Mitglied ist, und gehört auch zu den Skeptikern eines sogenannten . Generell gibt es auch sehr ähnliche Positionen im Bereich der globalen Gesundheit: zur Rolle, Reform und Finanzierung der WHO wie zur Reform der Pandemieprävention. Die Schweiz unterstützt auch unter anderem von Deutschland vorgebrachte Initiativen wie die Allianz für den Multilateralismus.
Das Bestreben der Schweiz, enge Beziehungen mit Ländern aufrechtzuerhalten, mit denen Deutschland und die EU in einer Systemrivalität stehen, hat bisher nicht für bedeutsame Friktionen bei der Zusammenarbeit auf globaler Ebene gesorgt.
Im Zuge des Ukraine-Kriegs erweist sich die Schweiz trotz ihrer Neutralität und der daraus resultierenden Unterschiede als verlässlicher internationaler Partner: nicht nur wurden die EU-Sanktionen weitgehend übernommen (weshalb die Schweiz von Russland als feindlich gesinnter Staat eingestuft wurde), auch in den multilateralen Organisationen trägt die Schweiz die Verurteilungen der russischen Aggression und ihrer Folgen bislang mit. Leichte Unterschiede zeigen sich bei der Frage einer Isolierung Russlands in den Vereinten Nationen. Während Konsens herrscht, dass es auch nach einem Waffenstillstand kein business as usual mit einem Russland unter Wladimir Putin geben kann, ist in der Schweiz die Sorge hinsichtlich eines Abbruchs aller Gesprächskanäle stark ausgeprägt.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und der Schweiz in diesem Bereich zu intensivieren?
Die durch den Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU durch die Schweiz entstehenden Reibungen beeinträchtigen die enge Beziehung zwischen Deutschland und der Schweiz auf globaler Ebene bislang nicht. Dennoch wäre eine Einigung auf eine neue Basis für die langfristigen EU-Schweiz-Beziehungen auch in globalen Foren vorteilhaft.
Durch die erstmalige Wahl der Schweiz in den UN-Sicherheitsrat für 2023/2024 im Juni 2022 gewinnt eine engere Abstimmung mit der Schweiz für Deutschland an Bedeutung.
Die Schweiz kann ein wesentlicher Partner zur Reform verschiedener internationaler Foren, etwa WHO und WTO, sein. Auch aufgrund ihrer sehr ähnlichen ordnungspolitischen Ausrichtung kann sie gemeinsam mit Deutschland und der EU dazu beitragen, dass Nachhaltigkeitsfragen stärker in gesundheitlichen, wirtschafts- und handelspolitischen Organisationen verankert werden – die Diskussion aber unter Beachtung marktwirtschaftlicher Prinzipien geführt wird. Gleichzeitig ist die Schweiz eine wichtige Verbündete im Kampf gegen wachsenden Protektionismus. Generell sollte die Schweiz als zentrale Verbündete gegen die Versuche autokratischer Länder angesehen werden, Prinzipien und Paradigmen multilateraler Zusammenarbeit in ihrem Sinne umzudeuten.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Die bereits jetzt enge Abstimmung mit der Schweiz zu multilateralen Fragen sollte aufrechterhalten und – wo möglich – punktuell intensiviert werden.
Generell sollten sich Berlin und Brüssel auch um eine frühzeitigere Abstimmung und engere Einbindung der Schweiz bei globalen Positionierungen bemühen; insbesondere 2023 und 2024 sollte eine Einladung zum EU-Außenminister-Treffen erwogen werden.
Bei der Vorlage von Reforminitiativen in verschiedenen internationalen Organisationen wie WHO oder WTO sollten gemeinsame Initiativen nicht nur mit Frankreich und anderen EU-Ländern, sondern auch mit der Schweiz eingebracht werden.
Gleichzeitig kann eine gut abgestimmte Rollenverteilung zwischen Deutschland und der Schweiz – gerade mit Blick auf ihre Sonderstellung, ihre anerkannte Mittlerrolle und ihre starke Reputation auf globaler Ebene – zu einem erfolgreicheren Verfolgen der gemeinsamen Ziele und Interessen beitragen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf aktuelle und künftige sogenannte eingefrorene Konflikte.
Dr. Olaf Wientzek leitet das KAS-Auslandsbüro „Multilateraler Dialog“ in Genf.
02 — Auslandsbüro
Kontakt:
Multilateraler Dialog Genf
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