PARTNER-ATLAS
SAUDI-ARABIEN
Als Partner für die Wahrung unseres Wohlstands durch freien Handel und Innovation
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Saudi-Arabien für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Wahrung unseres Wohlstands durch freien Handel und Innovation" zu verwirklichen?
Die Relevanz Saudi-Arabiens für Deutschlands Wirtschaftsinteressen ergibt sich aus der grundsätzlichen Bedeutung des Landes für Stabilität und Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten, den Bestrebungen zur Modernisierung und Diversifizierung seiner Wirtschaft sowie seinem Ölreichtum.
Das seit seiner Gründung 1932 von der Familie der Al-Saud beherrschte Königreich ist mit seinen über 355 Millionen Einwohnern (davon 20 Millionen saudische Staatsbürger) der bevölkerungsreichste der sunnitischen Golfstaaten. Als Heimat der beiden Heiligen Städte des Islam, Mekka und Medina, hat Saudi-Arabien auch einen ideellen Führungsanspruch in der arabisch-muslimischen Welt. In der politischen Umbruchphase, welche die Region seit dem sog. Arabischen Frühling 2011 durchlebt, konnte sich Saudi-Arabien zudem als Stabilitätsanker profilieren.
Die auch mit der Verengung politischer Spielräume einhergehende Machtkonzentration des Regimes ist dabei genauso umstritten wie die zunehmend robustere saudische Außenpolitik der letzten Jahre, wie sie sich etwa in der militärischen Intervention im Jemen zeigt. Dennoch ist Saudi-Arabien heute und absehbar für die kommenden Jahre eine der wenigen arabischen Gestaltungsmächte, die einen Beitrag zur Stabilisierung der Region (und damit der Sicherung von Handelswegen, Rohstoffversorgung und Absatzmärkten) leisten könnte.
Mit dem Entwicklungsplan „Vision 2030“, den der junge Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) seit 2016 vorantreibt, soll – neben gesellschaftlichen Reformen und einer Anpassung des saudischen Gesellschaftsvertrags – die saudische Wirtschaft stärker geöffnet und diversifiziert werden. Ein damit erhoffter Effekt: die Abhängigkeit des Landes vom Öl zu reduzieren. Auch mit groß angelegten Infrastrukturvorhaben – wie dem futuristischen Stadtprojekt Neom am Roten Meer – will der Kronprinz Saudi-Arabien erneuern und private internationale Investoren anziehen.
Dadurch ergeben sich – trotz fortbestehender rechtsstaatlicher und politischer Unsicherheiten – Chancen für die deutsche Wirtschaft. Der von Saudi-Arabien angestrebte Umbau einer auf Rohstoffeinnahmen gestützten Rentenökonomie hin zu einem investitions- und innovationsbasierten Wirtschaftssystem ist auch in anderen Ländern der Region notwendig. Eine Partnerschaft mit Saudi-Arabien und deutsche Wirtschaftsprojekte in diesem Bereich könnten eine entsprechende Ausstrahlung im Nahen und Mittleren Osten insgesamt entfalten. Insbesondere mit Blick auf die Energiewende (Erneuerbare Energien, Blauer und Grüner Wasserstoff etc.) bietet Saudi-Arabien hohes Anknüpfungspotenzial für deutsche Unternehmen und könnte auch für Deutschland eine energiepolitische Vorreiterrolle einnehmen. Fraglich bleibt indes, wie nachhaltig die saudische Modernisierung auch ohne bedeutende politische Reformen wirklich sein kann.
Saudi-Arabien gehört zu den drei größten Erdölproduzenten weltweit. Kein anderes Land exportiert so viel Öl wie der Golfstaat, der (gemeinsam mit Venezuela) zudem über die größten derzeit bekannten Vorkommen verfügt. Wenngleich das meiste davon nach Asien geliefert wird und Deutschland kaum saudisches Öl bezieht, nimmt das Königreich damit für die Weltwirtschaft (und das Ölförder-Kartell OPEC) eine Schlüsselrolle ein – jedenfalls solange das postfossile Zeitalter noch nicht erreicht ist.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Saudi-Arabiens, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Riads traditionelles Bündnis mit Washington, das während der Ära von Präsident Donald Trump eindrücklich gestärkt wurde, besteht auch unter Präsident Biden weiter fort – auch wenn es aufgrund dessen harter Kritik insbesondere gegenüber Kronprinz MbS und der Deklassifizierung des Khashoggi-Geheimdienstberichts Risse erhalten hat. Gleichwohl setzen die Saudis seit dem vergangenen Jahrzehnt zunehmend auf eine Diversifizierung ihrer internationalen Beziehungen; zu groß war die Enttäuschung über einen vermeintlich zu revolutions- und iranfreundlichen Obama und zu groß die Sorge über Trumps Unberechenbarkeit und Bidens härtere Linie bezüglich Menschenrechtsverletzungen. Die saudische Führung richtet hierbei den Blick vor allem gen Osten auf Länder wie China, Indien und Südkorea – und sicherheitspolitisch auch nach Russland.
Dennoch besteht grundsätzlich die Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit mit Europa und gerade auch Deutschland, dessen Wirtschaft und Kultur in Saudi-Arabien hohes Ansehen genießen. Zwar ist sich das Deutschland-Bild in Saudi-Arabien, wo man sich zu Unrecht übermäßig von der deutschen Politik und Öffentlichkeit kritisiert fühlt, in den letzten Jahren etwas eingetrübt. Doch die saudische Führung weiß, dass sie auch westliche Partner braucht, um ihre ambitionierten Pläne der wirtschaftlichen Transformation und der gesellschaftlichen Öffnung umzusetzen. Vor dem Hintergrund einer langfristig global angestrebten Dekarbonisierung der Weltwirtschaft erschärft sich dieser Reformdruck.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Saudi-Arabien aktuell in diesem Bereich?
Deutschland ist (nach China, den USA und den VAE) das viertwichtigste Lieferland für Saudi-Arabien. Die deutschen Importe haben indes – mit seit 2016 rückläufiger Tendenz – ein eher geringes Volumen: ca. 6,5 Milliarden Euro für 2020 im Vergleich zu 25,5 Milliarden Euro aus China. Zwar sind deutsche Großunternehmen wie Siemens, Bayer oder Allianz seit Jahrzehnten im Königreich aktiv, doch viele Mittelständler scheuen nach wie vor das Risiko von Investments. Saudi-Arabien wiederum ist nach den VAE Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner im arabischen Raum. Nach der diplomatischen Krise zwischen 2017 und 2018 angesichts deutscher Kritik an der saudischen Außenpolitik, besteht auf politischer Ebene nun wieder ein stabiler Dialog.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Saudi-Arabien in diesem Bereich zu intensivieren?
Die Transformation der saudischen Wirtschaft, die junge und für die arabische Halbinsel große Bevölkerung, die Öffnung der Gesellschaft im Verbund mit eigenem Kapital – das sich daraus ergebende Potenzial hat die deutsche Wirtschaft noch lange nicht ausgeschöpft. Im Verkehrs- und Gesundheitssektor etwa ist deutsches Know-how ausdrücklich nachgefragt. Daneben können weitere Felder mit Blick auf das Post-Öl-Zeitalter, für das sich Saudi-Arabien vorbereitet, besser erschlossen werden, beispielsweise im Bereich der erneuerbaren Energien und Wasserstoff. Mit der gesellschaftlichen Öffnung wird das Land außerdem noch mehr zu einer Konsumgesellschaft mit neuen Geschäftsmöglichkeiten, zum Beispiel in der Unterhaltungsindustrie.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Die Bundesregierung sollte über Bürgschaften und andere Förderprogramme insbesondere den Mittelstand darin unterstützen, sich bei der ökonomischen Transformation Saudi-Arabiens stärker einzubringen. Im Bereich der Wissenschaft können private und öffentliche Träger Initiativen wie einen gemeinsamen Tech- oder MINT-Campus entwickeln. Gesellschaftliche Austauschprogramme, auch im Bildungs-, Kultur- oder Sportbereich, können dazu beitragen, die nötige Kenntnis und Vertrauensbasis für deutsch-saudische Wirtschaftszusammenarbeit zu verstärken.
Dabei – und im politischen Diskurs insgesamt – muss es um einen konsistenten und ehrlichen Dialog gehen. In vielen Fragen, etwa Regierungsführung und Bürgerrechte, haben Deutschland und Saudi-Arabien unterschiedliche Vorstellungen, die im passenden Rahmen kritisch diskutiert werden können. Dies schließt aber Zusammenarbeit und spezifische Projekte in sozioökonomischen und technologischen Feldern nicht aus.
Auf der politischen Ebene muss Deutschland sich darum bemühen, gemeinsam mit Saudi-Arabien an einer Stabilisierung der Region zu arbeiten. Dafür sollte das Königreich zum einen regionalpolitisch darin bestärkt werden, sich einer Konfliktedeeskalation und -beilegung im Jemen zu verpflichten und den bereits begonnenen direkten Dialog mit dem Iran auszuweiten. Zum anderen sollte Deutschland die Sicherheitsbedenken Saudi-Arabiens ernst nehmen und gemeinsame Initiativen vorschlagen und unterstützen, beispielsweise im Bereich der maritimen Sicherheit.
Edmund Ratka Leiter des KAS-Auslandsbüros in Jordanien
Simone Engelkes ist Referent für den Nahen Osten und Nordafrika in der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit.
Aktualisiert am: 13.05.2022
02 — Auslandsbüro
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