PARTNER-ATLAS
PAKISTAN
Als Partner für die Regulierung globaler Migrationsströme
01 — Die Leitfragen zum Partner Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Pakistan für Deutschland, wenn es darum geht, globale Migrationsströme besser zu regulieren?
Pakistan ist sowohl Herkunfts- als auch Ziel- und Transitland von Flucht und Migration. In der Region ist Pakistan eines der größten Entsendeländer von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten. Ihre große Mehrheit (96 Prozent) konzentriert sich auf die Länder des Golfkooperationsrats, darunter vor allem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Gleichzeitig ist Pakistan seit Jahrzehnten ein Hauptaufnahmeland von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten aus Afghanistan. Zusammen mit Iran beherbergt Pakistan seit Jahrzehnten 90 Prozent aller afghanischen Geflüchteten. Fast zwei Millionen Afghaninnen und Afghanen befinden sich legal in Pakistan, dazu kommt schätzungsweise noch fast eine weitere Million ohne gültige Papiere.
Pakistan, Iran und die Türkei sind die Haupttransitländer von Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten aus Afghanistan. Im afghanischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre waren Pakistan wie auch Iran die Hauptzielländer für afghanische Geflüchtete. Heute ist Europa, darunter vor allem Deutschland, einer der Zufluchtsorte.
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 war Pakistan eine Hauptdrehscheibe für afghanische Geflüchtete, die in Deutschland und Europa Asyl suchten. Ein Großteil der afghanischen Ortskräfte mit Aufnahmeberechtigung in Deutschland wurden (und werden weiterhin vereinzelt) über Pakistan evakuiert.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft von Pakistan, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Im Unterschied zu den vergangenen Fluchtbewegungen aus Afghanistan in den 1990er Jahren hat Pakistan in der jüngsten Afghanistan-Krise frühzeitig erkennen lassen, dass es wenig aufnahmebereit für weitere afghanische Migrantinnen und Migranten ist und nur eine geordnete Transitflucht mit gültigen Papieren und Aufnahmezusagen in Drittländer zulässt. Pakistan hat seine fast 2.500 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan zunehmend durch Zäune gesichert, was in jüngster Zeit auch zu Konflikten mit der neuen (de facto) Taliban-Regierung in Kabul geführt hat. Eine Massenfluchtbewegung nach Europa wie 2015 blieb aufgrund der deutlich verschärften Grenzsicherheit durch Pakistan wie auch durch die anderen Anrainer Afghanistans, Iran und Usbekistan, bislang aus.
Pakistan und auch die anderen Nachbarn Iran, China sowie die zentralasiatischen Republiken haben klar signalisiert, dass sie nicht aufnahmebereit sind. In den vergangenen Jahren hatte Pakistan bereits rund zwei Millionen afghanische Migrantinnen und Migranten und Geflüchtete nach Afghanistan zurückgeschickt. Gleichzeitig haben Pakistan, Usbekistan und im geringeren Maße Iran die Evakuierungsbemühungen Deutschlands und anderer westlicher Staaten ab August 2021 wesentlich unterstützt.
Pakistan hatte in der Vergangenheit Migrationsströme nicht als Druckmittel gegenüber Deutschland oder Europa eingesetzt. Es ist somit ein gemeinsames Interesse Deutschlands und Pakistans, Migrationsbewegungen zu regulieren und illegaler Migration entgegenzuwirken.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Pakistan aktuell bei diesem Thema?
Die Evakuierung afghanischer Ortskräfte, von Aktivistinnen und Aktivisten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern internationaler Einrichtungen aus Afghanistan ab August 2021 war die bedeutendste Zusammenarbeit im Bereich der Migrationsregulierung in der Geschichte der deutsch-pakistanischen Beziehungen.
Ein Großteil der afghanischen Ortskräfte mit Aufnahmeberechtigung in Deutschland wurde (und wird noch vereinzelt) über Pakistan evakuiert. Ein Großteil wurde über die Landrouten der afghanischen Grenzposten Torkham und Spin Boldak außer Landes gebracht. Zudem hatte Pakistan die Evakuierung von mehr als 7.000 Ausländerinnen und Ausländern von diplomatischen und internationalen Einrichtungen aus Afghanistan in der ersten Evakuierungsphase unterstützt.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Pakistan zu diesem Thema zu intensivieren?
Bis zur Machtübernahme der Taliban in Kabul 2021 war die afghanische Regierung ein enger Partner Deutschlands im Bereich der Migrationspolitik. Nach dem Wegfall Afghanistans als Partnerland könnte sich Pakistan als neuer Partner im Bereich der Migrationspolitik in Südwestasien anbieten.
Die Schnittmenge deutsch-pakistanischer Interessen liegt bei der Regulierung von Migrationsströmen sowie der Fluchtursachenbekämpfung. In der Regulierung von Migrationsströmen haben beide Seiten ein Interesse, illegale Schleuseraktivitäten und die Bewegungsfreiheit von Mitgliedern terroristischer Gruppierungen wie al-Qaida, dem IS-Ableger ISKP und der pakistanischen Taliban-Splittergruppe TTP zu unterbinden. In der Fluchtursachenbekämpfung haben Deutschland und Pakistan prinzipiell ein gemeinsames Interesse an einer stabilen Friedenslösung in Afghanistan. Die pakistanische Regierung hatte in dieser Hinsicht wiederholt versucht, die Taliban-Führung zu einem konstruktiven Verhalten zu bewegen.
In der Umsetzung weiterer Stabilisierungsmaßnahmen in Afghanistan könnten hingegen unterschiedliche Ansätze zutage treten. Pakistan hat ein großes Interesse an einer diplomatischen Anerkennung der neuen Taliban-Regierung in Kabul, auch um einen Kollaps der afghanischen Wirtschaft abzufangen und den eingebrochenen bilateralen Handel wiederaufzunehmen. Der Schutz von Frauen- und Menschenrechten in Afghanistan ist für Pakistan nur insofern wichtig, als dass weitere Migration aus Afghanistan verhindert werden soll und Pakistan nicht ebenfalls für seine engen Beziehungen zur Taliban-Regierung international unter Druck gerät. Deutschland und die westlichen Partner setzen hingegen – neben einer bedingungslosen humanitären Hilfe – auf eine an Bedingungen geknüpfte Unterstützung Afghanistans, die in erster Linie der afghanischen Zivilbevölkerung zugutekommt.
Pakistan ist prinzipiell offen für engere und verbesserte Beziehungen zu Deutschland, solange das Land für sich darin einen Mehrwert erkennt. Sollte Deutschland Pakistan stärker als Kooperationspartner für seine Migrationspolitik gewinnen wollen, wird die beim Internationalen Währungsfonds verschuldete pakistanische Regierung dafür möglicherweise auch finanzielle Gegenleistungen verlangen.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Die europäisch-pakistanischen Beziehungen wurden in der Vergangenheit maßgeblich von Großbritannien geprägt. Deutschland und der EU fehlen die über Jahrzehnte gewachsenen Beziehungen und strategisches Wissen zur der als „anglo-amerikanische Domäne“ wahrgenommenen Region. Deutschland wird daher kaum die Tiefe von strategischen Beziehungen, das Wissen und die Kontakte in Pakistan wie Großbritannien oder die USA erlangen. Gleichzeitig hat Deutschland in der Region weder eine vorbelastete koloniale Vergangenheit wie Großbritannien noch ein schwieriges, ambivalentes Verhältnis wie die USA zu Pakistan.
Für eine weitsichtige Migrationspolitik könnte es für Deutschland und die EU sinnvoll sein, ihre internationalen Partnerschaften im Bereich der Migrationspolitik zu diversifizieren und Pakistan stärker in den Blick zu nehmen. Für Fluchtbewegungen aus Afghanistan nach Deutschland und in die EU wird Pakistan, wie auch Iran oder die Türkei, ein wesentliches Transitland bleiben.
Die deutsch-pakistanischen Interessen in der Außen- und Sicherheitspolitik sind nicht durchgehend deckungsgleich und bergen auch Konfliktpotenzial, beispielsweise beim Umgang mit islamistischen Gruppen, in der Frage der Anerkennung der Taliban-Regierung in Kabul oder im Hinblick auf Pakistans außenpolitische Balance zwischen strategischen Beziehungen mit China und den USA sowie intensivierten Beziehungen zu Russland. In der Migrationspolitik gibt es jedoch viele gemeinsame Schnittmengen. Ratsam wäre eine pragmatische Zusammenarbeit in den Bereichen gemeinsamer Interessen wie der Migrationsregulierung.
Eine vertiefte bilaterale Zusammenarbeit wird sich dort als besonders erfolgreich erweisen, wo Pakistan klare finanzielle sowie sicherheitspolitische Vorteile für seine nationalen Interessen erkennt. Deutschland ist daher gut beraten, auch seine eigenen nationalen Interessen klar zu definieren und zu kommunizieren.
Dr. Ellinor Zeino leitet das KAS-Regionalprogramm Südwestasien.