PARTNER-ATLAS
NIGERIA
Als Partner für die Sicherheit und Stabilität Europas, seiner Nachbarschaft und anderer Weltregionen
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Nigeria für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Sicherheit und Stabilität Europas, seiner Nachbarschaft und anderer Weltregionen" zu verwirklichen?
Mit etwa 216 Millionen Einwohnern ist Nigeria nicht nur das bevölkerungsreichte Land Afrikas, sondern auch seit einigen Jahren die größte Volkswirtschaft des Kontinents. Das Land ist reich an Öl- und Gasvorkommen und zählt zu den größten Erdölexporteuren der Welt. Dennoch steht Nigeria vor immensen Sicherheits- und Wirtschaftsproblemen, die infolge der Corona-Pandemie größer geworden sind. Diese könnten mittel- bis langfristig die gesamte Region weiter destabilisieren und Europa vor große Herausforderungen stellen. Letzteres betrifft sowohl das europäische Interesse, die Staaten des Sahel bei ihrem Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen, als auch irreguläre Migration aus Afrika zu unterbinden.
Nigerias Größe ist in diesem Zusammenhang nicht ein Vorteil, sondern ein Nachteil. Bereits heute leben etwa 50 Prozent der Bevölkerung und damit etwa 100 Millionen Menschen in extremer Armut. Das liegt vor allem daran, dass die Bevölkerung des Landes seit Jahrzehnten rasant wächst, während sich die Wirtschaft nur schleppend entwickelt. Im Jahre 2050 nsollen laut UN mehr als 400 Millionen Menschen leben. Damit würde Nigeria nach Indien und China die drittgrößte Bevölkerung der Welt stellen. Um den vielen jungen Menschen eine wirtschaftliche Perspektive zu bieten, müsste die Wirtschaft des Landes bereits heute zweistellig wachsen. Doch das Land erholte sich bis zur Covid-19-Pandemie nur schleppend von einer Wirtschaftsrezession in den Jahren 2014 und 2015 und rutschte mit Einsetzen der Pandemie erneut in eine Rezession, von der es sich erneut nur langsam erholt. Die Arbeitslosigkeit vor allem unter jungen Menschen ist hoch und die Perspektivlosigkeit groß.
Seit einer Dekade verschlechtert sich außerdem die Sicherheitslage stetig. Der Kampf gegen die Islamisten von Boko Haram und die Splitterfraktion Islamic State West Africa Province (ISWAP) im Nordosten des Landes und grenzüberschreitend in Niger und Tschad binden wichtige Ressourcen, die den Staaten anderweitig fehlen. Zentralnigeria leidet zudem seit Jahren unter einem erbitterten Kampf um Landnutzung zwischen überwiegend christlichen Bauern einerseits und muslimischen Fulani-Hirten andererseits. Der Nordwesten wird von marodierenden Banditengruppen destabilisiert und im Süden geht eine ständige Destabilisierungsgefahr von schwerbewaffneten Milizen und separatistischen Bestrebungen in der sog. Biafra-Region aus. Diese fortschreitenden Probleme gehen mit einem zunehmenden Versagen des Staates und seiner chronisch unterfinanzierten und unterbesetzten Sicherheitsorgane einher, innere Ordnung herzustellen. Schuld daran ist mitunter die weitverbreitete Korruption auf allen Ebenen des Staates, die dem Land jährlich Milliarden von US-Dollar entzieht.
Unter diesen Umständen drohen mittel- bis langfristig humanitäre Krisen, die größere Flucht- und Migrationsbewegungen in die Nachbarstaaten und nach Europa zur Folge haben könnten. Das würde nicht nur die ohnehin überforderten Nachbarstaaten weiter destabilisieren, sondern auch Europa bei der Bewältigung der Migrationsströme aus Afrika vor große Probleme stellen. Eine Stabilisierung des Landes dagegen würde sich positiv auf die gesamte Region auswirken – nicht zuletzt, weil Nigeria auch der größte und einflussreichste Mitgliedstaat der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) ist. Positive Effekte könnten deshalb auch für die regionale Wirtschaftsgemeinschaft erzielt werden.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Nigerias, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Grundsätzlich besteht Bereitschaft auf Seiten Nigerias, mit Deutschland an der Verwirklichung des Zieles zu arbeiten, das Land und die westafrikanische Region zu stabilisieren. Ein Zeugnis dieser Bereitschaft ist zum einen die deutsch-nigerianische Binationale Kommission, die auf Ebene der Außenministerien im Jahre 2011 gegründet wurde und alle zwei Jahre in ressortübergreifenden Arbeitsgruppen zu den Themen Wirtschaft, Energie, Politik, Kultur, Bildung und Migration tagen soll. Die Kommission hat die Aufgabe, die Koordination der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) zu verbessern. Außerdem war Nigeria gemeinsam mit Deutschland und Norwegen Ausrichter der sogenannten Tschadsee-Konferenzen in Oslo (2017) und Berlin (2018), bei denen Hilfsgelder in Milliardenhöhe für die von einer schweren humanitären Krise betroffene Region gesammelt wurden. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und dem Bestreben Deutschlands, von russischem Öl und Gas unabhängig zu werden, besteht auf beiden Seiten ein gesteigertes Interesse die wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Nigeria aktuell in diesem Bereich?
Zwischen Deutschland und Nigeria besteht grundsätzlich eine enge Zusammenarbeit vor Ort. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist mit einem der weltweit größten Länderbüros und Auftragsvolumen in Nigeria tätig. Außerdem setzt die GIZ eine Reihe von Vorhaben im Auftrag der EU und privater Geldgeber um, mit denen zur Entwicklung des Landes beigetragen werden soll. Das Auswärtige Amt (AA) finanziert des Weiteren nicht nur die GIZ bei der Umsetzung eines Polizeireformvorhabens, sondern auch andere deutsche Mittler und UN-Organisationen bei ihren Vorhaben, die Sicherheitsorgane im Land zu stärken. Mit der Konrad-Adenauer-Stiftung, der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung sind außerdem drei politische Stiftungen in Nigeria vertreten, die arbeitsteilig demokratische Entwicklung, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und den Respekt für Menschenrechte fördern. Um ihre Ziele zu erreichen, arbeiten die Stiftungen eng mit Regierungspartnern und der Zivilgesellschaft zusammen. Die Bundeswehr ist zudem in Nigeria nicht nur mit einer Beratergruppe präsent, die die deutsche Ausstattungshilfe vor Ort verwirklicht, sondern Nigeria ist auch ein Schwerpunktland der Ertüchtigungsinitiative. Im Rahmen der deutschen Unterstützung erhalten die nigerianischen Streitkräfte Ausrüstung und Ausbildung, die im Kampf gegen den Terrorismus helfen sollen.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Nigeria in diesem Bereich zu intensivieren?
Mit Blick auf die immensen Probleme, aber auch die Bedeutung des Landes für die Stabilisierung der Region ist das Potenzial einer Partnerschaft noch nicht ausgeschöpft. Die Ausstattungshilfe, die Fortbildung von Sicherheitskräften, die Maßnahmen zur Unterstützung der Sicherheitssektorreform und die bilaterale Zusammenarbeit von Sicherheitsorganen könnten deutlich ausgebaut werden. Damit wären entscheidende Beiträge im Kampf gegen Terrorismus und Organisierte Kriminalität möglich. Es besteht außerdem ein großes Potenzial bei der Abstimmung mit europäischen Partnern, um die Aktivitäten zur Verbesserung der Lage in Nigeria effektiver zu gestalten.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Um die Koordination der Zusammenarbeit in Nigeria zu verbessern, sollte die Binationale Kommission anstatt nur alle zwei Jahre jährlich tagen. Die Kommission sollte außerdem um eine Arbeitsgruppe Sicherheit und Stabilität ergänzt werden. Damit könnten die diversen Programme und die vielfältigen Aktivitäten deutscher und internationaler Akteure in diesem Bereich besser aufeinander abgestimmt und gemeinsam mit den nigerianischen Partnern an den Bedarf im Land angepasst werden.
Deutschland sollte des Weiteren seine EZ an Konditionen binden, die Nigeria dazu verpflichten, Fortschritte zu erzielen. Ein erster Schritt dahingehend hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) mit dem Reformkonzept „BMZ 2030“ im Jahre 2020 unternommen. Nigeria ist eins unter 28 bilateralen Partnerländern, mit denen die Bundesrepublik Deutschland „langfristig gemeinsame Entwicklungsziele“ verfolgt. Die zwei größten Entwicklungshemmnisse des Landes, Bevölkerungswachstum und Korruption, sollten jedoch stärker in den Fokus von Vorhaben der deutschen EZ rücken. In diesem Zusammenhang wären auch Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu intensivieren. Damit könnten wichtige Beiträge zur Verbesserung des politischen Rahmens geleistet werden, die der Gesamtentwicklung des Landes zugutekommen können.
Außer den deutschen Organisationen sind auch eine Reihe europäischer Akteure in der EZ tätig. Eine bessere Koordination der Maßnahmen würde sich daher auch auf europäischer Ebene und vor Ort durch die EU-Delegation anbieten. Damit könnten die vielfältigen Maßnahmen strategischer und synergetischer gestaltet werden.
Dr. Vladimir Kreck leitete das KAS-Auslandsbüro Nigeria von August 2018 bis Mai 2022.
Aktualisiert am: 26.07.2021
02 — Auslandsbüro
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