PARTNER-ATLAS
JAPAN
Als Partner für die Stärkung einer werte- und regelbasierten Weltordnung
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Japan für Deutschland, wenn es darum geht, die werte- und regelbasierte Weltordnung zu stärken?
Für Deutschland ist Japan einer der wichtigsten Wertepartner in der Region Asien-Pazifik. Beide Länder sind politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich eng miteinander verbunden. Neben dem Willen, gemeinsam die multilaterale, regelbasierte Ordnung zu erhalten und weiterzuentwickeln, steht der Wunsch nach einer noch engeren Zusammenarbeit im Bereich Sicherheitspolitik. Zu den bis dato wichtigsten multilateralen Foren für die Zusammenarbeit mit Japan gehören neben G7 und G20 die Vereinten Nationen und die Europäisch-Asiatischen Gipfeltreffen (ASEM) sowie (mit Japan als Kooperationspartner) OSZE und NATO.
Im Jahr 2020 verabschiedete die Bundesregierung die Indo-Pazifik-Leitlinien. Damit wurden wesentliche Weichen für die deutsche Außenpolitik in einer zunehmend geopolitisch an Bedeutung gewinnenden Region gestellt. Die Intensivierung der Zusammenarbeit mit Japan ist ein zentrales Element dieser Strategie.
Angesichts der multiplen Bedrohungslagen im Indo-Pazifik, deren politische, wirtschaftliche und humanitäre Auswirkungen bis nach Europa reichen würden, ist der institutionalisierte Austausch in beiderseitigem Interesse. Im Ergebnis sollen zukünftig regelmäßige Regierungskonsultationen abgehalten werden.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zeigt aktuell, wie wichtig vertrauensvolle und wertegebundene Partnerschaften für robuste Reaktionen sind. Japan und Deutschland sind gemeinsam mit den G7-Staaten tragende Säulen der Sanktionen, der humanitären Hilfe, aber auch der Lieferung von Schutzausrüstung und Waffen an die Ukraine. Beide Länder tragen ob ihrer Kriegsvergangenheit eine besondere Verantwortung, zu Frieden, Abrüstung und Verständigung aktiv beizutragen.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Japans, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
In Zeiten zunehmender geopolitischer Unsicherheiten stellt Japan seine Sicherheits- und Verteidigungspolitik auf drei Säulen: Diplomatie, die bilaterale Sicherheitspartnerschaft mit den USA sowie eine auf glaubwürdige Abschreckung, rasche Reaktionsfähigkeit und hohen Vernetzungsgrad ausgerichtete Reform der Selbstverteidigungsstreitkräfte. Japan verfolgt diese Ziele unter der doppelten Beschränkung einer streng pazifistisch ausgerichteten Sicherheits- und Verteidigungspolitik, beabsichtigt jedoch die Anhebung des Verteidigungsetats auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Als rohstoffarme, hochindustrialisierte Inselnation mit exportorientierter Wertschöpfung ist Japan elementar auf freie Seewege angewiesen.
An erster Stelle der Bedrohungsperzeption Japans steht daher die militärische Expansion der Volksrepublik China im Ost- und Südchinesischen Meer, insbesondere im Kontext hoher Intransparenz der chinesischen Militärstrategie, des stetig wachsenden Verteidigungsbudgets der Volksrepublik sowie der in den vergangenen Jahren erzielten technologischen Fortschritte in elektronischer Kampfführung. Eine zweite gravierende Bedrohung für Japan stellt Nordkoreas aktiver Ausbau der Raketenprogramme dar. Eine dritte Bedrohungsperzeption besteht hinsichtlich der zunehmenden militärischen Aktivitäten Russlands an der nördlichen Peripherie Japans. Russland hat die Verhandlungen um den Friedensvertrag mit Japan auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Damit ist der territoriale Streit um die Kurilen wieder hochaktuell. Mehr noch: Russland hat angekündigt, einen Teil der Inseln zu besetzen und auszubauen. Das gesamte Gebiet um das Süd- und Ostchinesische Meer ist somit eine potenzielle Quelle militärischer Auseinandersetzungen.
Aus diesen Gründen ist Japan stark auf verlässliche Sicherheits- und Bündnispartner angewiesen. Neben den engen verteidigungspolitischen Kooperationen mit den USA und Australien rückt die EU – und somit auch Deutschland – in den Blick Japans. Mit den Indo-Pazifik-Leitlinien hat sich Deutschland als ein Schlüsselpartner empfohlen. In der Folge fanden die ersten 2+2-Gespräche zwischen Japan und Deutschland statt, außerdem erfolgte die Entsendung der Fregatte Bayern für gemeinsame Manöver und Überwachung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea. Der Anfang für eine verstärkte Zusammenarbeit ist folglich auf beiden Seiten gemacht. Darüber hinaus hat Japan in den 2+2-Gesprächen den Wunsch geäußert, Deutschland in künftige Seemanöver einzubeziehen.
Zusätzlich unterzeichneten Japan und Deutschland im März 2021 das japanisch-deutsche Geheimschutzabkommen. Dieses Abkommen erlaubt den Austausch von vertraulichen Informationen zwischen Behörden und Unternehmen der Partnerländer. Zusätzlich ermöglicht das Abkommen eine verstärkte Zusammenarbeit in der Wehrtechnik sowie in den Fragen der Cybersicherheit und des Weltraums.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Japan aktuell in diesem Bereich?
Noch fehlt es zwischen Deutschland und Japan an institutionalisierten hochrangigen Formaten. Die 2+2-Gespräche haben bisher einmal stattgefunden, Regierungskonsultationen auf Ministerebene sind lediglich angedacht. Die Reise des Bundeskanzlers nach Japan im April 2022 hat gezeigt, dass Japan oben auf der außenpolitischen Agenda der Bundesrepublik steht. Japan wird nun sehr genau beobachten, wie entschlossen die neue Bundesregierung die vielversprechenden Initiativen fortführt. Die russischen Aggressionen gegenüber der Ukraine zeigen, wie wichtig verlässliche, wertebasierte Partnerschaften sind. Das ausgerufene „neue Zeitalter“ der Bundesrepublik kann nur in Zusammenarbeit mit starken gleichgesinnten Nationen beginnen.
Mit dem zwischen Japan und der EU geschlossenen strategischen Partnerschaftsabkommen (SPA), dem Wirtschaftsabkommen (EPA) sowie der Konnektivitätspartnerschaft sind abseits der Indo-Pazifik-Leitlinien klare Kooperationsparameter und -ziele gegeben. Die Umsetzung dieser Abkommen steht – auch coronabedingt – zum Teil erst am Anfang.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Japan in diesem Bereich zu intensivieren?
Das Potenzial auf japanischer Seite ist groß, die Notwendigkeit aufgrund der eingangs beschriebenen Bedrohungsszenarien auch. Die Voraussetzungen für intensivere Beziehungen sind auf beiden Seiten durch Absichtserklärungen und geschlossene Abkommen gegeben. Zusätzlich hatte das Kabinett Merkel mit den Indo-Pazifik-Leitlinien die Weichen für das deutsche Engagement im Indo-Pazifik gestellt. Japan erwartet, dass die neue Bundesregierung ihre Schlüsselrolle im Indo-Pazifik beibehalten wird. Aus Sicht Japans haben beide Länder einen besonderen Platz in der freien Welt und Japan ist bereit für stärkere bilaterale Beziehungen.
Neben Russland stellt China eine wachsende Herausforderung für Japan und Deutschland dar. Die ökonomischen Verflechtungen beider exportgetriebenen Volkswirtschaften mit China sind ähnlich eng und ähnlich fatal, käme es zu regionalen Konflikten. Das sogenannte Entkoppeln ist für Japan und Deutschland gleichermaßen ein Ziel. Zu den sicherheitspolitischen Notwendigkeiten gesellen sich somit Chancen für vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit. Beide Länder haben sich der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität verpflichtet, forschen intensiv an alternativen, grünen Energien und können – zum Beispiel – im Bereich Wasserstoff nur gemeinsam der Innovationskraft Chinas erfolgreich begegnen. Auch wirtschaftsstrategisch wird Japan ein wichtiges Partnerland, um die Disruptionen in den Lieferketten der Schlüsseltechnologien besser zu kompensieren.
Die Indo-Pazifik-Leitlinien sind explizit für breite Kooperationen ausgelegt, etwa in den Bereichen Digitalisierung, Vernetzung, Cyber oder für visionäre Zukunftstechnologien.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Die politischen wie wirtschaftlichen Entwicklungen in Asien bestimmen Wachstum, Wohlstand und Fortschritt für uns alle. Der zukunftsfähigste Kontinent sollte demnach einen noch größeren Raum in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik einnehmen. Deutschland und auch die EU konkurrieren mit China, den USA, Australien und Indien um Handelsabkommen, Talente, Innovation und Investitionen. Dem tragen die Indo-Pazifik-Leitlinien zwar Rechnung, sollten jetzt jedoch mit konkreten langfristigen Projekten unterlegt werden.
Um für Japan als Sicherheitspartner relevant zu sein, muss sich Deutschland der indo-pazifischen Region ernstlich verpflichtet fühlen. Einzelne Bereiche der sehr breitgefächerten Strategie sollten prioritär behandelt und darüber ein regelmäßiger Austausch auf verschiedenen Ebenen mit verschiedenen Akteuren initiiert werden. Die verteidigungspolitische Zeitenwende in Deutschland wurde sehr positiv in Japan aufgenommen. So sind zum Beispiel die Aufrüstung der Bundeswehr, die Erhöhung des Verteidigungsetats sowie die anvisierte Energieunabhängigkeit durchaus Blaupausen für Japan, die viel Anerkennung finden. Hier lohnen sich ein eng verzahnter Austausch der relevanten Regierungsressorts und Gesprächsangebote in Richtung Japan.
Letztlich sind sowohl Japan als auch Deutschland sogenannte mittelgroße Mächte mit einem gewissen, aber nicht entscheidenden Einfluss auf die globalen Entwicklungen. Ihren Erfolg verdanken beide Länder dem strategischen (wie pragmatischen) Interessen- und Zielausgleich zwischen unterschiedlichen Partnern. In Zeiten der systemischen Rivalitäten und der wachsenden Bipolaritäten ist es umso notwendiger für die mittelgroßen Mächte, sich strategisch zusammenzuschließen. Das transatlantische Verhältnis kann sich je nach zukünftigem Präsidenten schlechter oder besser gestalten. Die pragmatischen Beziehungen zu China können dann kippen, wenn Taiwan gewaltsam eine Provinz von China würde. Mit diesen Folgen muss sich Deutschland – im besten Fall gemeinsam mit dem Wertepartner Japan – konkret auseinandersetzen und die eigene Führungsverantwortung innerhalb Europas anerkennen und ihr gerecht werden.
Rabea Brauer leitet das KAS-Länderprogramm Japan und das Regionalprogramm Soziale Ordnungspolitik in Asien mit Sitz in Tokyo.
02 — Auslandsbüro
Kontakt:
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