PARTNER-ATLAS
IRAK
Als Partner für die Sicherung wichtiger Ressourcen und der Schutz des Klimas
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Irak für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Sicherung wichtiger Ressourcen und der Schutz des Klimas" zu verwirklichen?
Der Irak besitzt weltweit die fünftgrößten Erdöl- und die zwölftgrößten Erdgasreserven. Das Land ist Gründungsmitglied der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) und dort in den letzten Jahren zum zweitgrößten Produzenten aufgestiegen. Für die kommenden Jahre erwägt die irakische Regierung, den Öl- und Gassektor weiter auszubauen und die Förderkapazitäten damit noch stärker zu erhöhen, obwohl Experten sowie Regierungsmitglieder eine Diversifizierung des irakischen Wirtschafts- und Energiesektors fordern. Der Irak spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität der globalen Energiemärkte, die auch für Deutschland als erfolgreiche Technologie- und Exportnation von hoher Bedeutung ist.
Zudem ist der Irak ein Land, das in erheblichem Umfang vom Klimawandel und damit zusammenhängenden Folgen etwa im Bereich der Wasserversorgung betroffen ist. Neben steigenden Temperaturen zählen dazu langanhaltende Dürreperioden, weitläufige Wüstenbildung, die Versalzung der Flüsse sowie eine Abnahme ihrer Durchflussmenge. Sowohl Tigris als auch Euphrat entspringen im Osten der Türkei, deren Staudammprojekte für weitere Wasserkonflikte in der Region sorgen. Auch iranische Staudämme verringern die Wassermenge zweier wichtiger Flüsse, die durch den Nordosten des Iraks fließen und schließlich im Tigris münden. Zusätzlich erschweren Verschmutzung und eine fehlende Abwasserinfrastruktur die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser. Nicht zuletzt trägt die Ölwirtschaft aufgrund des hohen Wasserverbrauchs der Ölförderung zur Wasserknappheit bei.
Der Irak deckt darüber hinaus seinen steigenden einheimischen Energiebedarf bisher zu mehr als 90 Prozent aus fossilen Energieträgern. Erheblichen Modernisierungsbedarf gibt es zudem in den Bereichen Energieeffizienz und Leitungsstabilität. Der Irak ist damit auch relevant für Deutschland, wenn es um die Umsetzung einer ganzheitlichen Klimaschutzpolitik geht, bei der Länder unterstützt werden, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren und mit den Folgen des Klimawandels umzugehen.
Deutschland hat zudem auch ein Interesse daran, dass sich der Irak nachhaltig festigt und perspektivisch zu einem Stabilitätsanker in der Nahostregion wird. Die Erfolgsaussichten eines solchen Unterfangens hängen neben innen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen sowie der unmittelbaren Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie auch davon ab, ob es dem Land gelingt, seinen Energiesektor zu modernisieren und damit sozioökonomische Perspektiven zu schaffen, Versorgungssicherheit zu gewährleisten sowie mit ökologischen Herausforderungen insbesondere auch im Wasserbereich umzugehen.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft des Iraks, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Zwischen Deutschland und dem Irak bestehen enge und freundschaftliche Beziehungen, vor allem auch im Wirtschaftsbereich. Dabei wird die deutsche Expertise in Industrie und Technologie, besonders im Energiesektor, hoch angesehen. Neben der Anerkennung für die gute wirtschaftliche Zusammenarbeit genießt Deutschland auch durch seine Unterstützung im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) ein hohes Ansehen im Irak.
Generell ist die irakische Regierung bereit, ausländische Investoren uneingeschränkt zu unterstützen. Priorität haben dabei in erster Linie der Strom- und Wassersektor. Der Handlungsbedarf ist hier erheblich, dies spiegelt sich zum Teil auch in entsprechenden nationalen Strategien wider. Das irakische Ministerium für Wasserressourcen entwickelte 2014 eine Strategie für Wasser- und Landressourcen im Irak (SWLRI), die Maßnahmen für den Zeitraum 2015 bis 2035 zu Wasser-, Nahrungs- und Energiesicherheit sowie Umweltschutz enthält. Pro Jahr wären für die Vorhaben der Regierung 4 Milliarden US-Dollar erforderlich. Darüber hinaus will der Irak bis 2028 10 Prozent seines Strombedarfs aus erneuerbaren Energien beziehen. Der hierfür nötige Investitionsbedarf wird auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt. Langfristig soll der Anteil erneuerbarer Energien auf bis zu 40 Prozent gesteigert werden.
Die Möglichkeit einer erfolgreichen Umsetzung dieser Strategien ist neben Fragen der politischen Stabilität auch von der Verfügbarkeit von Expertise und Kapazitäten abhängig. Hier bieten sich Spielräume für nachhaltige und langfristige Partnerprojekte der deutsch-irakischen Zusammenarbeit.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Irak aktuell in diesem Bereich?
Der momentane Schwerpunkt des deutschen Engagements im Irak findet sich vor allem im humanitären und sicherheitspolitischen Bereich. Allein im Zeitraum 2014 (der Hochphase der IS-Schreckensherrschaft) bis 2018, stellte die Bundesregierung mehr als 1,7 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe, Stabilisierungsmaßnahmen und langfristige Entwicklungszusammenarbeit bereit. Damit ist Deutschland nach den USA der zweitgrößte Geldgeber. Allerdings entfallen bisher nur etwa 4 Prozent des Gesamtbudgets des BMZ für den Irak auf lokale und punktuelle Infrastrukturprojekte in den Bereichen Wasser und Abwasser.
Die energiepolitische Zusammenarbeit mit dem Irak konzentriert sich aktuell auf die Modernisierung des Stromnetzes und den Aufbau von Kraftwerkskapazität – auch mit dem Ziel, CO2-Emissionen zu verringern und damit zum Klimaschutz beizutragen. Eine zentrale Rolle hierbei spielt auch der Privatsektor. Der deutsche Technologiekonzern Siemens etwa erhielt im Rahmen der irakischen Roadmap zum Wiederaufbau des Stromnetzes einen ersten Auftrag in Höhe von 700 Millionen Euro für den Bau eines Gaskraftwerks in der Nähe von Bagdad. Insgesamt will das Land 12 Milliarden Euro in sein Stromnetz investieren.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und dem Irak in diesem Bereich zu intensivieren?
Grundsätzlich besteht im Irak dringender Investitionsbedarf in beinahe allen öffentlichen Bereichen, auch in der Elektrizitäts- und Wasserversorgung, die noch immer unter der Zerstörung durch jahrzehntelange Kriege und Konflikte leidet.
Der Wiederaufbau und die Stärkung dieser Infrastrukturen schaffen Möglichkeiten für Projekte der deutsch-irakischen Kooperation: sowohl in der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, wenn es um Wiederaufbauhilfen oder die Verbesserung der Wasserversorgung der irakischen Bevölkerung geht, als auch im privatwirtschaftlichen Bereich, wie das Engagement von Siemens im irakischen Energiesektor zeigt. Bereits begonnene Projekte – beispielsweise zur Stabilisierung der Trinkwasser- und Sanitärversorgung für Flüchtlingslager und umliegende Aufnahmegemeinden in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) – bieten sich dabei als Vorbild für größer angelegte Infrastrukturvorhaben für den gesamten Irak an.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Der Irak steht vor erheblichen Herausforderungen, die das Land nicht alleine bewältigen kann und die sich nicht in Wasserknappheit, den Folgen des Klimawandels und einer defizitären Energieinfrastruktur erschöpfen. Dennoch sollte Deutschland sein Engagement in diesen Sektoren weiter über konkrete Projekte ausbauen. Dazu sollte auch eine intensive Unterstützung der irakischen Seite beim Aufbau von Kapazitäten zum Monitoring der Durchführung nationaler Strategien in diesen Bereichen gehören, auf deren Basis Probleme identifiziert und Nachsteuerung in der operativen Umsetzung vorgenommen werden können.
Auch die landesweite Protestwelle, die im Oktober 2019 begann, war durch die Unzufriedenheit der Bevölkerung aufgrund der mangelhaften Versorgungslage mit Wasser und Strom getrieben. Verbesserungen in diesen Bereichen sind eine Voraussetzung für die Diversifizierung der irakischen Wirtschaft, die Reduzierung der Abhängigkeit vom Öl sowie die Schaffung von dringend benötigten Arbeitsplätzen. Um eine Stabilisierung des Landes zu erreichen, müssen im Irak – neben der Stärkung des maroden Gesundheitssektors – zudem politische Reformen und Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung durchgeführt werden. Diese Themen sollten daher von Deutschland aktiv von irakischer Seite eingefordert werden, auch mit dem Hinweis, dass andernfalls das Engagement des deutschen Privatsektors und die Durchführung entwicklungspolitischer Vorhaben erheblich erschwert werden.
Nur wenn es gelingt, Fortschritte in der Linderung der zentralen sozioökonomischen und ökologischen Probleme des Landes zu erreichen sowie eine neue politische Legitimationsbasis zu schaffen, kann der Irak ein Stabilitätsanker in der Nahostregion und ein Partner für die Bewältigung globaler Ressourcen und Klimafragen werden.
Gregor Jaecke leitete von Januar 2019 bis April 2022 das KAS-Auslandsbüro Syrien / Irak.
Judith Butzer war wissenschaftliche Assistentin im KAS-Auslandsbüro Syrien / Irak.
Aktualisiert am: 12.05.2022
02 — Auslandsbüro
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