PARTNER-ATLAS
BRASILIEN
Als Partner für die Wahrung unseres Wohlstands durch freien Handel und Innovation
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Brasilien für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse " Die Wahrung unseres Wohlstands durch freien Handel und Innovation" zu verwirklichen?
Brasilien ist die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas und zählt mit einem BIP von knapp 1,5 Billionen US-Dollar zu den wichtigsten Schwellenländern der Welt. Das Land verfügt über einen Binnenmarkt von 214 Millionen Einwohnern und ist reich an natürlichen Ressourcen.
Die brasilianische Wirtschaft konnte sich mit Hilfe von Exporten, insbesondere im Agrarsektor, von den Einschnitten der Covid-19-Pandemie leicht erholen. Dennoch sind die Konstruktion einer neuen Verkehrsinfrastruktur, die Modernisierung der Industrie und der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Bekämpfung der Korruption wichtige Punkte, um das enorme Potenzial des Landes auszuschöpfen. Sektor übergreifend gibt es eine hohe Nachfrage nach innovativen und nachhaltigen Lösungen und neuen Technologien. Zusätzlich gewinnt das Thema Industrie 4.0 und Finanzdienstleistungen auch in Brasilien immer mehr an Bedeutung. Darüber hinaus entsteht insbesondere in den Megastädten São Paulo und Rio de Janeiro eine moderne aufstrebende Start-up-Kultur.
Für Deutschland ist Brasilien traditionell der wichtigste Handelspartner in Südamerika und das einzige Land Lateinamerikas, mit dem seit 2008 eine strategische Partnerschaft besteht. Im Jahr 2019 betrug das deutsch-brasilianische Handelsvolumen über 17 Milliarden Euro, wobei die Importe deutscher Produkte die Summe von 10,2 Milliarden Euro erreichten. Damit steht Deutschland auf Platz vier der wichtigsten Lieferländer.
Außerdem hatten die in Brasilien tätigen deutschen Unternehmen trotz der Pandemie einen hohen Umsatz. Mit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine und dem Anstieg der internationalen Rohstoffpreise, nimmt das geopolitische Gewicht Brasiliens in der sich zunehmend polarisierenden Welt zu. Das Land tendiert dazu, sich den Importmächten von Nahrungsmitteln und Energieträgern anzunähern.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Brasiliens, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Laut offiziellem Diskurs ist die brasilianische Regierung bestrebt, Brasilien stärker in produktive Wertschöpfungsketten zu integrieren, Strukturreformen im Steuer- und Arbeitsrecht durchzuführen sowie Bürokratie abzubauen. Doch bis dato wurden die versprochenen Reformen, trotz der Bemühungen des liberalen Wirtschaftsministers Paulo Guedes, nicht durchgeführt. Diese könnten ein attraktiveres Klima für internationale Investoren schaffen. Vertiefte Kooperationen mit deutschen Unternehmen und Institutionen böte Brasilien einen Mehrwert im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes, der nachhaltigen Energiegewinnung, beispielsweise durch grünen Wasserstoff, oder bei der Erarbeitung von Industrie 4.0-Konzepten.
Brasilien steht der internationalen Zusammenarbeit in multilateralen Formaten und dem Freihandel traditionell positiv gegenüber, wenngleich es auch versucht, Industrieprodukte vor Wettbewerb zu schützen. Die Rolle des Landes innerhalb der WTO in der Vergangenheit war wenig konstruktiv. Das Ausbleiben europäischer und deutscher Kapitalanlagen hat zudem dazu geführt, dass Brasilien sehr empfänglich für chinesische Investitionen und Anliegen geworden ist und sich bereits zu Beginn des Jahrtausends nach anderen multilateralen Foren, wie den BRICS-Staaten, umgesehen hat.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Brasilien aktuell in diesem Bereich?
Der Austausch, z. B. zu Themen wie Umwelt, Klima und Biodiversität, Energie, Wissenschaft und Technologie sowie Verteidigung, wurde in den letzten Jahren vertieft. Auch innovativere Themen wie Cybersicherheit, Urbanisierung, Kreislaufwirtschaft und Wasserstofftechnologie möchte man sich gemeinsam stärker annehmen.
Mit Mitteln des BMZ und der Internationalen Klimainitiative des BMU kooperieren Deutschland und Brasilien insbesondere beim Schutz der Tropenwälder. In dem Land, das 60 Prozent des größten Regenwaldes der Erde auf seinem Staatsgebiet beherbergt, muss allerdings noch dafür geworben werden, dass sich ökonomische und ökologische Interessen nicht zwingend ausschließen. Die Regierung Bolsonaro setzt hier primär auf weitere wirtschaftliche Exploration des Amazonasgebiets.
Brasilien und Deutschland haben auch mehrere bilaterale Kooperationsprogramme in den Bereichen Energiesicherheit (deutsch-brasilianische Energiepartnerschaft), Ernährung und wissenschaftliche Entwicklung (Deutsches Wissenschafts- und Innovationshaus DWIH). Initiativen wie diese haben ein Umfeld für den Erfahrungsaustausch gefördert und stehen im Einklang mit den von der UN in der Agenda 2030 vorgeschlagenen Zielen für nachhaltige Entwicklung.
Im Bereich Handel und Wirtschaft hat sich Brasilien um eine verstärkte Teilnahme an globalen Foren bemüht, an denen auch Deutschland aktiv beteiligt ist (OECD, G20, UN). Ein entscheidender Erfolg ist der nach nahezu 20-jähriger Verhandlungsdauer historische Abschluss des Abkommens zwischen der EU und dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur, dessen Ratifizierung allerdings nach wie vor aussteht. Angesichts des Krieges zwischen Russland und der Ukraine ist die Förderung des Abkommens mit den südamerikanischen Ländern im Hinblick auf den Zugang zum Energie-, Nahrungsmittel- und Rohstoffsektor noch dringlicher.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Brasilien in diesem Bereich zu intensivieren?
Das Abkommen zwischen dem südamerikanischen Wirtschaftsblock Mercosur und der EU würde, mit mehr als 780 Millionen Einwohnern und ca. 25% des weltlichen BIP, die größte Freihandelszone der Welt entstehen lassen. Der geplante Wegfall von 91 Prozent der Zölle auf die gehandelten Waren könnte allein seitens der europäischen Exporteure jährliche Einsparungen in Höhe von 4 Milliarden Euro zur Folge haben. Für Brasilien bietet das Abkommen vor allem Chancen im Bereich der Agrarindustrie. Über die handelspolitische Bedeutung hinaus ist das Abkommen zweifelsohne ein (geo-) politisches Zeichen für Freihandel, speziell in Richtung der beiden teils protektionistisch agierenden Weltmächte USA und China.
Auch über die Handelspolitik hinaus ist das Potenzial für eine Intensivierung der Partnerschaft zwischen Brasilien und Deutschland erheblich. Die großen Entfernungen und die fehlende Infrastruktur erschweren die Produktion und die Konzentration des größten Teils des Industrie- und Logistikparks im Süden und Südosten des Landes. Ein Beispiel dafür ist die geringe Auslastung des brasilianischen Flussverkehrs sowie das inexistente Eisenbahnnetz. Die Lösungen zur Überwindung dieses Infrastrukturmangels und zur vollständigen Integration der anderen Regionen müssen ihrerseits den Anforderungen an geringe Kosten und minimale Umweltbelastung entsprechen. Hier könnte die in vielen Technologien führende deutsche Industrie passgenaue Lösungen bereitstellen.
Die deutsch-brasilianische Wissenschaftskooperation kann auch ein weiteres strukturelles Problem in beiden Ländern lösen, nämlich den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften als signifikantes Innovationshemmnis. Eine gemeinsame Aus- und Weiterbildung kann dazu beitragen, die Zahl der Fachkräfte zu erhöhen.
Das Potenzial der Digitalisierung von Produktionsprozessen liegt im Ausbau der Konnektivität und der Breitbandinfrastruktur des Landes. Es geht nicht nur um die Bereitstellung von Mechanismen zur Informationsübertragung, sondern auch darum, die entferntesten Regionen wirklich in den nationalen brasilianischen Produktionsmarkt einzubeziehen. Deutschland kann den Mangel an Investitions- und Technologiekapazitäten ausgleichen, indem es Ressourcen und Know-how einbringt und seine Beteiligung an der brasilianischen Wirtschaftsentwicklung ausbaut.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Für beide Länder wäre es interessant, neben den traditionellen diplomatischen Kanälen auch andere außenpolitische Instrumente zu nutzen. So böte z.B. die Intensivierung der Arbeit in den deutsch-brasilianischen Handelskammern die Möglichkeit, die Präsenz deutscher Unternehmen in potenziellen, in Brasilien noch wenig erforschten Zentren weiter auszubauen.
Die Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik, die Vertiefung des regelbasierten Freihandels und das Engagement für die Gewährleistung der individuellen Freiheiten sollten genutzt werden, um auch den Dialog über sensible Themen wie Umweltschutz und Klimawandel, aber auch Energie- und Ernährungssicherheit zu fördern. Weiterhin sind Kooperationen im Bereich der Sicherheitspolitik erforderlich, insbesondere im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.
Grundsätzlich ist es wichtig, Brasilien als bevölkerungsreichste Land und mit dem höchsten BIP (Bruttoinlandsprodukt) Lateinamerikas, nicht zu isolieren, und in eine langfristige Beziehung zu investieren. Nur so können nicht nur regionale Probleme, sondern vor allem auch globale Herausforderungen gemeinsam gelöst werden. In diesem Sinne wäre, abgesehen von den Regierungskonsultationen, eine engere und tiefere Beziehung zu subnationalen Einheiten (Staaten) wichtig. Obwohl der brasilianische Föderalismus sehr zentralisiert ist, haben einige Bundesstaaten und Gemeinden Sekretariate für internationale Beziehungen, die als Kanäle für die Umsetzung neuer Kooperationsabkommen dienen können. Die sogenannte Paradiplomatie stellt somit ein mögliches Instrument zur Vertiefung der Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland dar.
Anja Czymmeck leitet das KAS-Auslandsbüro Brasilien.
Aktualisiert am: 09.05.2022
02 — Auslandsbüro
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