PARTNER-ATLAS
ALGERIEN
Als Partner für die Sicherheit und Stabilität Europas, seiner Nachbarschaft und anderer Weltregionen
01 — Die Leitfragen zum Partner-Atlas
RELEVANZ: Welche Relevanz hat Algerien für Deutschland, wenn es darum geht, das Interesse "Die Sicherheit und Stabilität Europas, seiner Nachbarschaft und anderer Weltregionen" zu verwirklichen?
Als flächenmäßig größtes Land Afrikas, Scharnierstaat zwischen der MENA-Region, sowie der Sahelzone und unmittelbarer Nachbar besitzt Algerien eine natürliche Relevanz für Deutschland und Europa. Die Armee besitzt als Institution einen hohen Stellenwert und die Verteidigungsausgaben liegen stabil bei 6% des BIP.
Mit den Staaten der Region arbeitet Algerien in Sicherheitsfragen intensiv zusammen. Dies erfolgt im Rahmen der jeweils bilateralen Beziehungen sowie über regionale Mechanismen wie den Nouakchott-Prozess der Afrikanischen Union (AU), der die sicherheitspolitische Kooperation von elf Staaten in Westafrika, dem Maghreb und der Sahelzone unterstützt.
Im Maghreb sieht sich Algerien gegenüber Tunesien bisweilen als eine Art „großer Bruder“, der das Land politisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich stabilisiert. Diese Selbsteinschätzung ist teilweise gerechtfertigt, da Algerien das kleine Nachbarland immer wieder in Krisensituationen unterstützt. Algeriens Beziehungen mit Marokko sind indes äußerst angespannt. Rabat und Algier spaltet der Konflikt um den Status der von Marokko besetzten Westsahara sowie Grenzstreitigkeiten, die noch aus der französischen Kolonialzeit herrühren. Ein verstärktes algerisches Engagement in der Sicherheitsarchitektur der AU, welches in der letzten Zeit vermehrt zu erkennen war, ist unter diesem Gesichtspunkt vor allem als Zeichen gegenüber dem westlichen Rivalen zu verstehen und unterstreicht das neue algerische Selbstverständnis, auch regional unter gewissen Bedingungen als Gestaltungsmacht zu fungieren.
Das Land sieht sich seit der Erlangung seiner Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1962 als ein zentraler Akteur der Bewegung der Blockfreien Staaten und unterstützte bis in die 1980er Jahre die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Afrika. Algerien konnte sich so ein besonderes Ansehen im sogenannten Globalen Süden erarbeiten. Die daraus resultierende diplomatische Glaubwürdigkeit macht das Land zu einem potenziell einflussreichen Vermittler in Konflikten in der Region.
BEREITSCHAFT: Wie groß ist die Bereitschaft Algeriens, mit Deutschland zur Verwirklichung dieses Interesses zusammenzuarbeiten?
Die außen- und sicherheitspolitische Grundausrichtung Algeriens zielt auf die Wahrung der nationalen Unabhängigkeit und folgt dem Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Dementsprechend steht Algerien Initiativen wie der Euro-Mediterranen Partnerschaft der EU oder der deutschen Reformpartnerschaft für Afrika äußerst kritisch gegenüber, da es insbesondere in den Vereinbarungen zur Umsetzung einer politischen Reformagenda eine Einmischung in inneralgerische Angelegenheiten sieht. Die Ablehnung jeglicher externen Einmischung ist im Falle Algeriens nicht nur ein Instrument der Eliten, sich gegen externe Kritik abzuschotten, sondern spiegelt einen gesellschaftlichen Grundkonsens wider, der auch von Bürgern geteilt wird, die dem Regime gegenüber kritisch gesinnt sind. Beispielhaft an der Kompromisslosigkeit Algeriens sind die, im Frühjahr 2022 gekappten Beziehungen zu Spanien, welches überraschenderweise die marokkanische Position im Westsaharakonflikt unterstützte.
Gleichwohl ist das Land an wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit Deutschland interessiert. Die angespannte wirtschaftliche Lage des Landes und die Reformagenda des Ende 2019 gewählten Staatspräsidenten Abdelmajid Tebboune könnten zu einer vorsichtigen Öffnung für weitere Kooperationsangebote führen. Erst seit der Verfassungsreform vom November 2020 ist es der algerischen Armee erlaubt, sich an friedenserhaltenden Operationen in anderen Ländern gemäß den Prinzipen und Ziele der Vereinten Nationen, der AU oder der Arabischen Liga zu beteiligen. Im Grundsatz lehnt Algerien militärische Interventionen anderer Staaten in Drittstaaten jedoch ab. Dies hat zur Folge, dass das Land militärischen Operationen wie dem französischen Engagement in Mali, an dem auch Deutschland in erheblichem Maße beteiligt ist, skeptisch gegenübersteht.
Das Beispiel Mali zeigt aber auch, dass Algerien im Falle der unmittelbaren Bedrohung eigener Interessen auch von seinen Grundprinzipien abweicht: Das Land öffnete seinen Luftraum für die französische Luftwaffe, um Frankreichs militärisches Vorgehen gegen islamistische Kräfte, die Nord-Mali unter Kontrolle gebracht hatten und überdies für einen Angriff auf algerische Erdgasförderanlagen in der Nähe von In Anémas verantwortlich waren, zu ermöglichen.
Aufgrund der eigenen Erfahrung des algerischen Bürgerkriegs mit bis zu 200.000 Toten in den 1990er Jahren ist das Land darauf bedacht, dem Aufkommen und der Verbreitung dschihadistischer Kräfte in der Region entgegenzuwirken – und wird sich daher weiterhin an der internationalen Terrorismusbekämpfung beteiligen.
STATUS QUO: Wie eng ist die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Algerien aktuell in diesem Bereich?
Wenngleich Algerien in der politischen Debatte in Deutschland nur wenig präsent ist, werden die Rolle des Landes in der internationalen Terrorismusbekämpfung sowie seine Initiativen zur sicherheitspolitischen Stabilisierung in der Sahelregion wahrgenommen. Das Land wird als potenzieller Vermittler in Konfliktkontexten betrachtet.
Im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses, den die deutsche Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen im September 2019 zur Beendigung des Konflikts in Libyen initiierte, war Algerien als eines der wenigen Länder eingebunden, welches als glaubhafter Partner ohne eigene Interessen auf libyschem Boden angesehen wurde. Nichtsdestotrotz war das Militär vorbereitet, zu intervenieren, sobald die algerische Sicherheit nicht mehr gewährleistet gewesen wäre.
POTENZIAL: Wie groß ist das Potenzial, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Algerien in diesem Bereich zu intensivieren?
Das außen- und sicherheitspolitische Kooperationspotenzial zwischen Deutschland und Algerien ist mit Blick auf die oben benannten Herausforderungen groß und wird von beiden Seiten auch als bedeutsam wahrgenommen; es wird sich jedoch nicht ohne Weiteres abrufen lassen.
Eine Zusammenarbeit mit Algerien auf Grundlage des algerischen Selbstverständnisses als vermittelnde Kraft in der Region ist grundsätzlich möglich, wird jedoch in der praktischen politischen Koordinierung immer wieder auf Schwierigkeiten stoßen, wenn Initiativen als extern geleitet wahrgenommen werden. Dies wird bspw. im Falle der französisch geführten G5 Initiative deutlich, die fünf Sahelstaaten in die Lage versetzen soll, mit den sicherheitspolitischen Herausforderungen in der Region umzugehen. Algerien unterstützt die Zielsetzung der Initiative grundsätzlich, bevorzugt jedoch eine innerafrikanisch (und am liebsten algerisch) geführte Lösung des Konflikts.
Im weiteren internationalen Kontext wird sich Algerien nicht auf eine Partnerschaft mit der westlichen Staatengemeinschaft festlegen und auch künftig enge Beziehungen mit Staaten wie Russland und zunehmend auch China pflegen. Bei diesen Akteuren schätzt Algier, dass sie in ihren Beziehungen mit Drittstaaten – zumindest nach dem Dafürhalten Algiers – neben den konkreten Inhalten keine normativen Zielsetzungen verfolgen.
POLITIKEMPFEHLUNG: Was muss sich in der deutschen Außenpolitik ändern, damit dieses Potenzial vollumfänglich ausgeschöpft werden kann?
Seit Februar 2019 fanden in Algerien Massenproteste gegen die Regierung statt, die nach einer pandemiebedingten Pause Ende 2020 wieder an Fahrt aufgenommen haben und auch durch Verhaftungen von Schlüsselfiguren nicht zum Erliegen gekommen sind. Die Parlamentswahl im Juni 2021 verlief enttäuschend. Lediglich 23% der wahlberechtigten Algerier machte vom Wahlrecht Gebrauch. Wie sich die neue Regierung, die hauptsächlich aus den alten Regierungsparteien und unabhängigen Kandidaten besteht, innenpolitisch positionieren wird, ist auch für die außenpolitischen Entwicklungen von Relevanz und Deutschland sollte dies beobachten, jedoch vorerst nicht kommentieren.
Eine offene Einmischung – und sei es auch nur in deklaratorischer Art – in die algerische Innenpolitik sollte von deutscher Seite unterbleiben, zumindest solang der politische Konflikt wie bisher weitgehend gewaltfrei ausgetragen wird.
Für Algerien ist es von großer Bedeutung, international auf Augenhöhe mit Staaten wie Deutschland zu operieren. Um vom Potenzial des Landes als Vermittler in der Region zu profitieren, sollte Algerien frühzeitig in deutsche Initiativen wie den Berliner Prozess eingebunden werden. Darüber hinaus sollte Deutschland auch algerische Initiativen in der Region verfolgen und diese ggf. politisch unterstützen. Entsprechend könnte sich Deutschland um einen regelmäßigen und engeren Austausch mit der algerischen Seite über die regionale Lage bemühen. Diesen Ansatz gilt es auch gegenüber den europäischen Partnern Deutschlands einzubringen, von denen insbesondere Frankreich sehr aktiv in Nordafrika und dem Sahel ist.
Michael Bauer war Referent „Naher Osten und Nordafrika“ in der Hauptabteilung Europäische und Internationale Zusammenarbeit.
Holger Dix leitete von Januar 2017 bis Juli 2021 das KAS-Auslandsbüro Tunesien / Algerien.
Aktualisiert am: 11.05.2022
02 — Auslandsbüro
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